Wohnungswirtschaft weiter im Krisenmodus
Laut der – seit Sommer 2020 regelmäßig durchgeführten – Umfrage von Aengevelt wird die aktuelle Gesamtsituation in der Immobilienwirtschaft als besonders herausfordernd wahrgenommen. Die Vielzahl an Krisenfaktoren und wirtschaftlichen Risiken hat deutlich stärkere Auswirkungen auf die Wohnungswirtschaft als zuvor die Corona-Krise allein. Friedrich Drechsler, Analyst von Aengevelt Research: „Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation, Lieferengpässe, steigende Kreditzinsen sorgen […]
Krise? Ja, Krise!
Jetzt ist die Realität auch endgültig in der Immobilienwirtschaft angekommen.
Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs sowie dem Anstieg der Zinsen haben Immobilienprofis in ganz Europa gerätselt, wie sich die geänderten Rahmenbedingungen auf die Entwicklung der Preise auswirken würden.
In einem war man sich in den letzten Wochen schon relativ einig, der Zenit sei bereits erreicht worden, weiter nach oben würde es vorerst einmal nicht gehen.
Einstweilen hat es sich gefühltermaßen – aufgrund der fehlenden Nachfrage unserer Klienten – wie auch empirisch (siehe nachfolgendes Beispiel zu Berlin) erwiesen, dass die Preise am Immobilien-Investmentmarkt einbrechen.
Engel & Völkers stellt im jüngsten Bericht zum Berliner Immobilienmarkt fest, dass die Stückzahl der gehandelten Wohn- und Geschäftshäuser in der Relation des 3. Quartals 2022 zum 3. Quartal 2021 um 42 Prozent zurückgegangen ist (165 zu 282 Geschäftsfälle – also minus 117).
Im gleichen Zeitraum ging der Quadratmeter-Preis auf durchschnittlich 3.070 Euro (von 3.654 Euro im Jahr 2021) zurück, also um 16 Prozent.
Reziprok stieg die Rendite von 2,9 Prozent im 1. Halbjahr 2022 auf 3,5 Prozent im 3. Quartal 2022.
Und ich gehe davon aus, dass sich diese Tendenz im normalerweise besonders umsatzstarken 4. Quartal noch verstärken wird.
Dass die Preise auch fallen können, überrascht mich mit 35 Jahren Branchenerfahrung angesichts schon vieler durchgemachter Krisen nicht wirklich.
Was mich aber schon erstaunt, ist das völlig abgebremste Investorenverhalten.
Und zwar insofern, als die Liquidität ja nicht verschwunden ist, sondern nur anderweitig geparkt wird, die Realzinsen (Zinssatz minus Inflation) so niedrig und negativ sind wie nie zuvor und in der Theorie Immobilien schließlich als harte Währung („Betongold“) in inflationären Zeiten gelten.
Andererseits: „Never catch a falling knife“ heißt es in der Börsianer-Sprache, man soll also nie bei fallenden Kursen kaufen.
Das mag schon seine Richtigkeit haben – was aber, wenn die Bodenbildung erreicht ist?
Von den mehreren hundert Objekten, die wir jeden Monat angeboten bekommen, ist natürlich noch immer die Mehrzahl mit einem Preisschild von 2021 versehen, oder es gibt nur sehr zaghafte Preisminderungen im Bereich von fünf bis zehn Prozent. Aber vereinzelt, siehe auch die Objekte in diesem MAGAN-Dezember-Newsletter, bemerken wir auch Preissenkungen, die durchaus die Realität des geänderten Umfelds und der neuen Zinslandschaft widerspiegeln.
Ein Objekt wie die Werderstraße in Berlin-Tempelhof hätte vor einem Jahr gut 25 Prozent mehr gekostet. Einstweilen sind wir bei diesem Haus bei knapp 2.000 Euro pro Quadratmeter angelangt.
Oder ein Beispiel aus Halle. Wir beschäftigen uns dort gerade mit einem qualitativ sehr hochwertigen Paket, bestehend aus 14 Wohn- und Geschäftshäusern, die gegenüber dem Exposé-Preis von Anfang 2022 bereits um ca. 30 Prozent eingebrochen sind und jetzt deutlich unter 2.000 Euro pro Quadratmeter bei knapp mehr als fünf Prozent Rendite liegen.
Ja, bis wohin glauben denn die geschätzten Investoren, dass der Markt noch fallen wird?
Ich meine, nicht ewig nach unten, drei Gründe hierfür.
Erstens, in krassem Gegensatz zu früheren Krisen ist die Nachfrage nach Wohnraum ungebrochen hoch, sie wird durch Migration und Zuzug aufgrund der Attraktivität einzelner Standorte („Schwarmstädte“) sogar noch wesentlich befeuert. In Berlin stellen sich dutzende Mieter um eine Wohnung an, die Mietpreise steigen (man sehe und staune), während die Zinshaus-Preise gleichzeitig sinken.
Zweitens, jedes Neubauprojekt wird aufgrund der gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise, teilweisen Fachkräftemangels und wegen Materialengpässen auf absehbare Zeit nicht billiger, sondern tendenziell teurer werden. Einen Neubau neben dem erwähnten Haus in Berlin-Tempelhof könnte man nicht einmal um das Doppelte des aufgerufenen Quadratmeter-Preises bauen.
Selbst wenn ich noch Maßnahmen für die Energieertüchtigung eines Altbaus einkalkuliere, abgesehen vom Charme der Jahrhundertwende, der immer attraktiv bleiben wird, wie groß soll diese preisliche Kluft zwischen Alt- und Neubau werden, doch sicher nicht unendlich?
Zusätzlicher Effekt: Geht die Neubauleistung zurück, erhöht das den Druck auf den Bestand.
Und schließlich drittens, die traumhaften Einstiegspreise am Immobilienmarkt, die es noch vor 15 Jahren in vielen Städten Ostdeutschlands gab, werden wir nie wieder sehen. Es haben sich die Mieten seit damals nämlich dramatisch verändert, in Berlin, Leipzig und Dresden sogar vervielfacht. Selbstverständlich wird sich das gestiegene Mietniveau über den Vervielfältiger (Rendite) auf den Kaufpreis und Preis pro Quadratmeter auswirken. Und das Risikoprofil dieser Standorte ist heute ein ganz anderes, aus totgesagten Städten wurden lebendige Metropolen mit nachhaltigem Zuzug.
Mein Fazit, um beim Beispiel Berlin zu bleiben: In Verkaufsfällen, wo bei ordentlicher Ware die Faktoren 25 bis 20 zurückkommen, sind wir erst mal am unteren Ende der Fahnenstange angelangt, und die nächste Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank ist schon eingepreist.
Ähnliches gilt in abgewandelter Form mit angepassten Faktoren für die anderen Standorte.
Das aktuelle Marktgeschehen spiegelt übrigens meine These wider. Derzeit ist ein großes Zinshaus-Paket (rund 100 Objekte) einer bekannten Institution aufgrund besonderer Umstände am Markt. Wir sehen deutlich, dass diese Objekte sehr wohl fungibel sind, wenn die genannten Kennziffern erreicht werden. Allerdings handelt es sich in der Hauptsache um deutsche Binnenkäufer, wir Österreicher scheinen momentan verhaltener zu sein.
Schwachpunkt meiner vorherigen Argumentation: Was ist, wenn sich der Ukraine-Krieg noch ausweitet, Zinsen und Inflation heftig weitersteigen und Europa von einer harten Rezession getroffen wird?
Stimmt schon, angesichts der jüngsten Entwicklungen kann man auch in solchen Weltuntergangsszenarien denken.
Erste Reaktion des gelernten Österreichers – wenn das alles eintritt, dann haben wir alle ohnehin andere Sorgen.
Jetzt im Ernst, es gibt auch eine Gegenargumentation.
Was ist denn die Alternative, der sichere Hafen in Krisenzeiten, wenn nicht doch Immobilien?
Wenn ich mir die Perfomance anderer Assetklassen anschaue, und ich rede noch gar nicht von Kryptowährungen, dann fühle ich mich mit einem Immobilieninvestment in Städten der größten Volkswirtschaft der Europäischen Union, mit vier bis fünf Prozent Rendite, einem Quadratmeter-Preis weit unter den Entstehungskosten und solider Mietnachfrage auf einmal doch recht wohl!
Allemal besser, als jedes Jahr zehn Prozent an Kaufkraftverlust am Sparbuch hinnehmen zu müssen.
Aber das ist natürlich auch eine Anlagestrategie.